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Joan Miró, oder: Wie lässt man ein Kaninchen verschwinden?
Eigentlich war seine Leinwand am Anfang seiner Malerlaufbahn ziemlich voll und am Ende ziemlich leer. Dazwischen lag die Begegnung mit dem Dadaisten Francis Picabia, dem Surrealistenkreis
um André Breton in Paris und ein langer, langer Weg, den er als Spaziergänger durch die Welt zurücklegte, Materialien und Gegenstände aufhob, mit nach Hause nahm und zum Gegenstand seiner Bilder machte. Aber noch
wichtiger als diese Wegmarken seines künstlerischen Schaffens war sein Entschluss, den geometrischen Raum und die Perspektive hinter sich zu lassen und seine Bildgegenstände auf der Fläche „schwimmen“ zu lassen.
Joan Miró wurde 1893 als Sohn eines Uhrmachers und Goldschmiedes in Barcelona geboren. Erst sein psychischer Zusammenbruch ebnete ihm den Weg zu einer künstlerischen Ausbildung, die ihn
wenig befriedigte, aber Mittel und Möglichkeiten an die Hand gab, den Kampf um seine Bildideen zu beginnen. Dafür war Barcelona zur Zeit des I Weltkrieg auch ein anregendes Klima. Zudem gab ihm seine Heimatstadt mit
den Architekturen von Antoni Gaudi´ auch ein Erbe mit, dass für ihn zunächst noch völlig uninteressant war, aber fruchtbar wurde, als er sich mit dem Material der Keramik und der Plastik auseinandersetzte. Dennoch
zog es ihn 1919 nach Paris, wo er, wie viele andere, Jahre eines armutsvollen aber produktiven Lebens verbrachte.
1924 gehörte er dem engeren Kreis der Surrealisten um Andre´ Breton an. Bei ihren Wortgefechten, so wird berichtet, hatte er nicht viel zu sagen. Und für ihre Versammlungen auch wenig Zeit.
Aber auf den Bildern dieser Jahre suchte und fand er seine eigene surreale Sprache. Wir erkennen die Flasche. Aber ihr Bezug zu den anderen Bildgegenständen ist aufgelöst und im all over–Hintergrund verschwunden.
Miró hat ihren Kontext und ihre Geschichte ausgelöscht und ein befremdliches Denkbild fabriziert. Die Flasche wird zur Chiffre für einen Bildinhalt, den wir erraten oder erarbeiten müssen. Manchmal hilft Miró uns
mit eingeschriebenen Worten. Oder mit Titeln, die kommentieren, provozieren und veralbern. So vereinfacht, stilisiert und deformiert seine Gegenstände auch sind: Die dingliche Welt bleibt uns als Anhaltspunkt
erhalten, um hinter die „Realität“ zu schauen.
In den ärmlichen und beengten Pariser Verhältnissen hatte sich Miró immer „sein Atelier“ ausgemalt: Es war groß und hell und weiß. Nach den langen Jahren des Bürgerkrieges und der
faschistischen Herrschaft in Spanien, des Krieges in Frankreich, in denen er sich auf Mallorca versteckt gehalten hatte, fasste er Anfang der 50er Jahre wieder auf Mallorca Fuß. Er kaufte Son Abrines, ein
Grundstück, auf dem ihm später Josep Lluis Sert nach seinen Angaben einen Atelierbau aus unbehauenen Bruchsteinen, weißem Beton und gebrannten Ziegeln errichtete. Hier lebte und arbeitete er bis zu seinem Tod 1983.
Oberhalb von Palma gelegen, sind Atelier und Wohnhaus heute Museum, das Lebens- und Arbeitsweise Mirós zeigt.
Sein Atelier enthielt einen „Fundus von allen möglichen Dingen“, die er sammelte und zu kleinen Kunstwerken arrangierte. Packpapier inspirierte ihn ebenso wie eine Hutschachtel, eine
Heugabel oder die mallorquinische Tonpfeife. All diese Dinge verwandelte er in Skulpturen (Assemblageskulpturen). Zunächst machte er Zeichnungen. Dann legte er die Gegenstände aus und fotografierte sie und dann
fügte er sie zu einer Skulptur zusammen. Bei dieser Form der Objektumwandlung war er ganz Dadaist und Surrealist. Aus einem Bügelbrett, einem hölzernen Toilettensitz und einem Strohhut, die er durch kräftige
Grundfarben unterschied, gestaltete er z. B. eine seiner bekanntesten Skulpturen, von der es einige Varianten gibt. 1967 nannte er sie die „Die Liebkosung eines Vogels“.
Ähnlich wie bei Paul Klee wird auch Mirós Bilderwelt häufig mit dem Attribut naiv und kindlich belegt, ein Vorurteil, das sich bei beiden Malern auf ihre Vereinfachungen stützt, die denen
von Kindern ähnlich sind, aber aus ganz anderen Gründen. Neben seiner Heiterkeit und seinem Witz, der auch bereit ist, seinen Betrachter zu verulken, finden sich auf seinen Bildern auch Szenerien des Schreckens und
Horrors. Monster waren ihm geläufig. Mit „Ubu“ griff er eine Gestalt auf, die auch bei anderen Künstlern lebte und das Symbol eines machtbesessenen, von niederen Instinkten geleiteten Usurpators war. Die Geburt des
Miróschen Ubu fällt in die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges, sein Tod findet in Mori el Merma, statt. Das Theaterstück wurde ein Jahr nach Francos Tod in Spanien aufgeführt. Miró nahm die gesellschaftlichen und
politischen Verhältnisse, die ihn berührten und unter denen er leben musste, sehr genau war. Von Malerkollegen und Zeitgenossen wurde er immer als äußerst wortkarg beschrieben. Er war es eigentlich nicht, denn seine
Worte waren seine Bilder.
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