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Italienische Reise

 

Projekt Kunstreise: „Johann Wolfgang von Goethes Italienreise“ –

Kunstgeschichte

Sigrid Meyer zu Knolle

SA/SP - KMP

Veranstaltungsart

Raum

Wochentag

Uhrzeit

Blockveranstaltung

107/117

05.05.04

06.05.04

07.05.04

 14.00 - 18.00

09.00 - 18.00

09.00 - 18.00

 

Seminartexte:

 

„Er mochte diesen Blick nicht. Aus einer Postkutsche heraus konnte man sowohl den Horizont als auch einzelne Gräser und sogar die Steine direkt vor sich auf dem Boden erkennen. Die Welt stand still, während man sich durch sie fortbewegte. Hier war es jedoch umgekehrt. Obwohl er es besser wusste, hatte er das Gefühl, als stehe in dieser Maschine er selbst still, als sei er ein Teil von ihr geworden und nicht mehr ein Teil der Welt, die an ihm vorbeiraste. Es gab nur noch Nürnberg und Fürth, Abfahrt und Ankunft. Doch was war mit dem Raum dazwischen geschehen? Er war noch da, er konnte ihn ja sehen. Aber zugleich war er anders geworden. Es war kein Raum mehr, sondern ein Zwischenraum. Man befand sich … im Nirgendwo.“

(Wolfram Fleischhauer, 2003)

 

Aus der Italienischen Reise von Johann Wolfgang von Goethe:

„Betrachten wir die Gebirge näher oder ferner und sehen ihre Gipfel bald im Sonnenschein glänzen, bald vom Nebel umzogen, von stürmenden Wolken umsaust, von Regenstrichen gepeitscht, mit Schnee bedeckt, so schreiben wir das alles der Atmosphäre zu, da wir mit Augen ihre Bewegungen und Veränderungen gar wohl sehen und fassen. Die Gebirge hingegen liegen vor unserm äußeren Sinn in ihrer herkömmlichen Gestalt unbeweglich da. Wir halten sie für tot, weil sie erstarrt sind, wir glauben sie untätig, weil sie ruhen. Ich aber kann mich schon seit längerer Zeit nicht entbrechen, einer innern, stillen, geheimen Wirkung derselben die Veränderungen, die sich in der Atmosphäre zeigen, zum großen Teile zuzuschreiben. Ich glaube nämlich, dass die Masse der Erde überhaupt, und folglich auch besonders ihre hervorragenden Grundfesten, nicht eine beständige, immer gleiche Anziehungskraft ausüben, sondern dass diese Anziehungskraft sich in einem gewissen Pulsieren äußert, so dass sie sich durch innere notwendige, vielleicht auch äußere zufällige Ursachen bald vermehrt, bald vermindert. Mögen alle anderen Versuche, diese Oszillation darzustellen, zu beschränkt und roh sein, die Atmosphäre ist zart und weit genug, um uns von jenen stillen Wirkungen zu unterrichten. Vermindert sich jene Anziehungskraft im geringsten, alsobald deutet uns die verringerte Schwere, die verminderte Elastizität der Luft diese Wirkung an. Die Atmosphäre kann die Feuchtigkeit, die in ihr chemisch und mechanisch verteilt war, nicht mehr tragen, Wolken senken sich, Regen stürzen nieder, und Regenströme ziehen nach dem Lande zu. Vermehrt aber das Gebirge seine Schwerkraft, so wird alsobald die Elastizität der Luft wiederhergestellt, und es entspringen zwei wichtige Phänomene. Einmal versammeln die Berge ungeheure Wolkenmassen um sich , bis sie, durch inneren Kampf elektrischer Kräfte bestimmt, als Gewitter, Nebel und Regen niedergehen, sodann wirkt auf den Überrest die elastische Luft, welche nun wieder mehr Wasser zu fassen, aufzulösen und zu verarbeiten fähig ist. Ich sah das Aufzehren einer solchen Wolke ganz deutlich: sie hing um den steilsten Gipfel, das Abendrot beschien sie. Langsam, langsam sonderten ihre Enden sich ab, einige Flocken wurden weggezogen und in die Höhe gehoben; diese verschwanden, und so verschwand die ganze Masse nach und nach und ward vor meinen Augen wie ein Rocken von einer unsichtbaren Hand ganz eigentlich abgesponnen.“

S. 17 / 18

 

„Die Kalkalpen, welche ich bisher durchschnitten, haben eine graue Farbe und schöne, sonderbare, unregelmäßige Formen, ob sich gleich der Fels in Lager und Bänke teilt. Aber weil auch geschwungene Lager vorkommen und der Fels überhaupt ungleich verwittert, so sehen die Wände und Gipfel seltsam aus. Diese Gebirgsart steigt den Brenner weit herauf. In der Gegend des oberen Sees fand ich eine Veränderung desselben. Aus dunkelgrünen und dunkelgrauen Glimmerschiefer, stark mit Quarz durchzogen, lehnte sich ein weißer, dichter Kalkstein, der an der Ablösung glimmerig war und in großen, obgleich unendlich zerklüfteten Massen anstand. Über demselben fand ich wieder Glimmerschiefer, der mir aber zärter als der vorige zu sein schien. Weiter hinauf zeigt sich eine besondere Art Gneis oder vielmehr eine Granitart, die sich dem Gneis zubildet, wie in der Gegend von Elbogen. Hier oben, gegen dem Hause über, ist der Fels Glimmerschiefer. Die Wasser, die aus dem Berge kommen, bringen nur diesen Stein und grauen Kalk mit.“  S. 20

 

„Der Tag ist so lang, das Nachdenken ungestört, und die herrlichen Bilder der Umwelt verdrängen keineswegs den poetischen Sinn, sie rufen ihn vielmehr, von Bewegung und freier Luft begleitet, nur desto schneller hervor.“   S. 22

 

„Die Etsch fließt nun sanfter und macht an vielen Orten breite Kiese. Auf dem Lande, nah am Fluß, die Hügel hinauf ist alles so enge an- und ineinander gepflanzt, dass man denkt, es müsse eins das andere ersticken. – Weingeländer, Mais, Maulbeerbäume, Äpfel, Birnen, Quitten und Nüsse. Über Mauern wirft sich der Attich lebhaft herüber. Efeu wächst in starken Stämmen die Felsen hinauf und verbreitet sich weit über sie; die Eidechse schlüpft durch die Zwischenräume, auch alles, was hin und her wandelt, erinnert einen an die liebsten Kunstbilder. Die aufgebundenen Zöpfe der Frauen, der Männer bloße Brust und leichte Jacken, die trefflichen Ochsen, die sie vom Markt nach Hause treiben, die beladenen Eselchen, alles bildet einen lebendigen, bewegten Heinrich Roos. Und nun, wenn es Abend wird, bei der milden Luft wenige Wolken an den Bergen ruhen, am Himmel mehr stehen als ziehen, und gleich nach Sonnenuntergang das Geschrille der Heuschrecken laut zu werden anfängt, da fühlt man sich doch einmal in der Welt zu Hause und nicht wie geborgt oder im Exil. Ich lasse mir’s gefallen, als wenn ich hier geboren und erzogen wäre und nun von einer Grönlandsfahrt, von einem Walfischfange zurückkäme. Auch der vaterländische Staub, der manchmal den Wagen umwirbelt, von dem ich so lange nichts erfahren habe, wird begrüßt. Das Glocken- und Schellengeläute der Heuschrecken ist allerliebst, durchdringend und nicht unangenehm. Lustig klingt es, wenn mutwillige Buben mit einem Feld solcher Sängerinnen um die Wette pfeifen; man bildet sich ein, dass sie einander wirklich steigern. Auch der Abend ist vollkommen milde wie der Tag.

Wenn mein Entzücken hierüber jemand vernähme, der in Süden wohnte, von Süden herkäme, er würde mich für sehr kindisch halten. Ach, was ich hier ausdrücke, habe ich lange gewusst, so lange, als ich unter einem bösen Himmel dulde, und jetzt mag ich gern diese Freude als Ausnahme fühlen, die wir als eine ewige Naturnotwendigkeit immerfort genießen sollten.“

S. 25 / 26

 

„Ich machte ihn und das Volk aufmerksam auf den Verfall dieser Türme und dieser Mauern, auf den Mangel von Toren, kurz auf die Wehrlosigkeit des ganzen Zustandes und versicherte, ich habe hier nichts als eine Ruine zu sehen und zu zeichnen gedacht.

Man entgegnete mir: wenn es eine Ruine sei, was denn dran wohl merkwürdig scheinen könne? Ich erwiderte darauf, weil ich Zeit und Gunst zu gewinnen suchte, sehr umständlich, dass sie wüssten, wie viele Reisende nur um der Ruinen willen nach Italien zögen, dass Rom, die Hauptstadt der Welt, von den Barbaren verwüstet, voller Ruinen stehe, welche hundert- und aber hundertmal gezeichnet worden, dass nicht alles aus dem Altertum so erhalten sei, wie das Amphitheater zu Verona, welches ich denn auch bald zu sehen hoffte.“   S. 32

 

„Ich erklärte mich dagegen weitläufig, dass nicht allein griechische und römische Altertümer, sondern auch die der mittlern Zeit Aufmerksamkeit verdienten. Ihnen sei freilich nicht zu verargen, dass sie an diesem von Jugend auf gekannten Gebäude nicht so viele malerische Schönheiten als ich entdecken könnten. Glücklicherweise setzte die Morgensonne, Turm, Felsen und Mauern in das schönste Licht, und ich fing an, ihnen dieses Bild mit Enthusiasmus zu beschreiben.“  S. 33

 

„...... und so sag’ ich vom Palladio: er ist ein recht innerlich und von innen heraus großer Mensch gewesen. Die höchste Schwierigkeit, mit der dieser Mann wie alle neuern Architekten zu kämpfen hatte, ist die schickliche Anwendung der Säulenordnungen in der bürgerlichen Baukunst; denn Säulen und Mauern zu verbinden, bleibt doch immer ein Widerspruch. Aber wie er das untereinander gearbeitet hat, wie er durch die Gegenwart seiner Werke imponiert und vergessen macht, dass er nur überredet!“  S. 52

„Heute besuchte ich das eine halbe Stunde von der Stadt aus auf einer angenehmen Höhe liegende Prachthaus, die Rotonda, genannt. Es ist ein viereckiges Gebäude, das einen runden, von oben erleuchteten Saal in sich schließt. Von allen vier Seiten steigt man auf breiten Treppen hinan und gelangt jedes Mal in eine Vorhalle, die von sechs korinthischen Säulen gebildet wird. Vielleicht hat die Baukunst ihren Luxus niemals höher getrieben. Der Raum, den die Treppen und Vorhallen einnehmen, ist viel größer als der des Hauses selbst; denn jede einzelne Seite würde als Ansicht eines Tempels befriedigen. Inwendig kann man es wohnbar, aber nicht wöhnlich nennen. Der Saal ist von der schönsten Proportion, die Zimmer auch; aber zu den Bedürfnissen eines Sommeraufenthalts einer vornehmen Familie würden sie kaum hinreichen. Dafür sieht man es auch in der ganzen Gegend von allen Seiten sich auf das herrlichste darstellen. Die Mannigfaltigkeit ist groß, in der sich seine Hauptmasse zugleich mit den vorspringenden Säulen vor dem Auge der Umherwandelnden bewegt, und die Absicht des Besitzers ist vollkommen erreicht, der ein großes Fideikommißgut und zugleich ein sinnliches Denkmal seines Vermögens hinterlassen wollte.“   S. 55

 

„In der Kirche der Eremitaner habe ich Gemälde von Mantegna gesehen, einem der älteren Maler, vor denen ich erstaunt bin. Was in diesen Bildern für eine scharfe, sichere Gegenwart dasteht! Von dieser ganz wahren, nicht etwa scheinbaren, effektlügenden, bloß zur Einbildungskraft sprechenden, sondern derben, reinen, lichten, ausführlichen, gewissenhaften, zarten, umschriebenen Gegenwart, die zugleich etwas Strenges, Emsiges, Mühsames hatte, gingen die folgenden Maler aus, wie ich an Bildern von Tizian bemerkte, und nun konnte die Lebhaftigkeit ihres Genies, die Energie ihrer Natur, erleuchtet von dem Geiste ihrer Vorfahren, auferbaut durch ihre Kraft, immer höher und höher steigen, sich von der Erde heben und himmlische, aber wahre Gestalten hervorbringen. So entwickelte sich die Kunst nach der barbarischen Zeit.“ S. 62

 

„Die Fahrt auf der Brenta, mit dem öffentlichen Schiffe in gesitteter Gesellschaft, da die Italiener sich vor einander in acht nehmen, ist anständig und angenehm. Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, teilweise geht die belebte Landstraße daran hin. Da man schleusenweis den Fluß hinabsteigt, gibt es öfters einen kleinen Aufenthalt, den man benutzen kann, sich auf dem Lande umzusehen, und die reichlich angebotenen Früchte zu genießen. Nun steigt man wieder ein und bewegt sich durch eine bewegte Welt voll Fruchtbarkeit und Leben.“ S. 64 / 65

 

„Meine alte Gabe, die Welt mit Augen desjenigen Malers zu sehen, dessen Bilder ich mir eben eingedrückt, brachte mich auf einen eigenen Gedanken. Es ist offenbar, dass sich das Auge nach den Gegenständen bildet, die es von Jugend auf erblickt, und so muß der venezianische Maler alles klarer und heiterer sehn als andere Menschen. Wir, die wir auf einem bald schmutzkotigen, bald staubigen, farblosen, die Widerscheine verdüsternden Boden und vielleicht gar in engen Gemächern leben, können einen solchen Frohblick aus uns selber nicht entwickeln.

Als ich bei hohem Sonnenschein durch die Lagunen fuhr und auf den Gondelrändern die Gondoliere, leicht schwebend, buntbekleidet, rudernd, betrachtete, wie sie auf der hellgrünen Fläche sich in der blauen Luft zeichneten, so sah ich das beste, frischeste Bild der venezianische Schule. Der Sonnenschein hob die Lokalfarben blendend hervor, und die Schattenseiten waren so licht, dass sie verhältnismäßig wieder zu Lichtern hätten dienen können. Ein Gleiches galt von den Widerscheinen des meeresgrünen Wassers. Alles war hell in hell gemalt, so dass die schäumende Welle und die Blitzlichter darauf nötig waren, um das Tüpfelchen aufs i zu setzen.“  S. 86 / 87

 

„Es fiel mir recht aufs Herz, dass doch alles auf die erste Erfindung ankommt, und dass diese das rechte Maß, den wahren Geist habe, da man mit viereckigen Stückchen Glas, und hier nicht einmal auf die sauberste Weise, das Gute sowohl als das Schlechte nachbilden kann. Die Kunst, welche dem Alten seine Fußboden bereitete, dem Christen seine Kirchenhimmel wölbte, hat sich jetzt auf Dosen und Armbänder verkrümelt. Diese Zeiten sind schlechter als man denkt.“ S. 87

 

„Der Dogenpalast, sonst von Goethe nicht erwähnt. Tagebuch, S. 124 nennt die Fassade das sonderbarste was der Menschen Geist glaub ich hervorgebracht hat. Tagebuch, S. 137: Vom Herzogl. Pallast den ich heute früh sah sollt ich noch mehr sagen. Vielleicht morgen. Es ist alles im Flug geschossen wie du siehst. Aber es bleibt in einem feinen Aug und Herzen.„ (Herbert von Einem, S. 600)

 

„Über S. Marco im Tagebuch, S. 124 das harte Urteil: Die Bauart ist jeden Unsinns werth der jemals drinne gelehrt oder getrieben worden seyn mag. Ich pflege mir die Facade zum Scherz als einen kolossalen Taschenkrebs zu dencken. Wenigstens getrau ich mir irgend ein ungeheures Schaalthier nach diesen Maßen zu bilden.“ (Herbert von Einem, S. 601)

 

„Jawohl ist dem Italiener das ultramontane eine dunkle Vorstellung, auch mir kommt das Jenseits der Alpen nun düster vor; doch winken freundliche Gestalten immer aus dem Nebel. Nur das Klima würde mich reizen, diese Gegenden jenen vorzuziehen, denn Geburt und Gewohnheit sind mächtige Fesseln. Ich möchte hier nicht leben, wie überall an keinem Orte, wo ich unbeschäftigt wäre; jetzt macht mir das Neue unendlich viel zu schaffen. Die Baukunst steigt wie ein alter Geist aus dem Grabe hervor, sie heißt mich ihre Lehren wie die Regeln einer ausgestorbenen Sprache studieren, nicht um sie auszuüben oder mich in ihr lebendig zu erfreuen, sondern nur um die ehrwürdige, für ewig abgeschiedene Existenz der vergangenen Zeitalter in einem stillen Gemüte zu verehren.“   S. 97 /98

 

Goethe reiste nicht nur als Dichter durch Italien, sondern auch als Maler. Immer wieder versuchte er auf systematische Weise, sich im Zeichnen zu üben und weiter zu bilden. Dabei genoss er den Unterricht und die Anleitung von Zeichnern und Malern, die wie er auf Italienreise und auf der Suche nach Arkadien waren. Zu seinen Lehrern gehörten Tischbein, Hackert, Heinrich Meyer, Verschaffelt. Goethe studierte Architektur, Perspektive, Komposition und Farbengebung der Landschaft. Er zeichnete nach der Natur und versuchte sich auch an der menschlichen Figur. „Herr ich lasse Dich nicht, du segnest mich denn, und sollt´ich mich lahm ringen.“ Aber er resignierte dann doch, weil er mit seinem Malstil unzufrieden war.

 

„Wenn ich etwas zeichnete, so fehlte es mir an genugsamem Trieb für das Körperliche; ich hatte eine gewisse Furcht, die Gegenstände auf mich eindringend zu machen, vielmehr war das Schwächere, das Mäßige nach meinem Sinn. Machte ich eine Landschaft und kam ich aus den schwachen Fernen durch die Mittelgründe heran, so fürchtete ich immer, dem Vordergrund die gehörige Kraft zu geben, und so tat denn mein Bild nie die rechte Wirkung.“ (Herbert von Einem, S. 572)

 

„Unglückliche Frösche, die ihr Venedig bewohnet! Springt ihr zum Wasser heraus, springt ihr auf hartes Gestein.“ (Venezianische Epigramme, Nr. 129)