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Vincent van Gogh und Paul Gauguin: Von der Moral der Kohlenreviere zur Heiterkeit exotischer Reviere
Dr. Sigrid Meyer zu Knolle
WS 2002/2003 Fachhochschule Merseburg
Texte zum Seminar
Der große zottige Hund: Vincent van Gogh
„Man hat eine ähnliche Scheu, mich ins Haus zu nehmen, wie man sich scheuen würde, einen großen zottigen Hund im Hause zu haben. Er kommt mit nassen Pfoten in die Stube – und er ist überhaupt so zottig und
wüst! Allen läuft er in den Weg. Und er bellt so laut. Kurzum – er ist ein schmutziges Vieh.“
(Vincent van Gogh an Theo, als er im Begriff ist, in Nuenen wieder in sein Elternhaus, das Pfarrhaus von Nuenen, zu ziehen. Van Gogh Museum (1996) Führer, S. 20)
„Ich habe gewollt, daß es an eine ganz andere Lebensweise gemahnt als die unsere, die der Gebildeten. Ich möchte denn auch durchaus nicht, daß jeder es gleich schön oder gut fände.“
(Vincent zum Bild der Kartoffelesser von 1885)
Zu diesem Bild schreibt Theo van Gogh aus Paris:
„Besonders die Maler“, ließ Theo wissen, „finden es vielversprechend. Einige sehen viel Schönes darin. Gerade weil seine Typen so wahr sind. Denn es ist doch eine gewisse Wahrheit, daß man unter den Brabanter Bauern
und Bäuerinnen viel mehr solche antrifft, auf deren Gesicht die scharfen Züge von harter Arbeit und auch Armut ausgedrückt werden, als daß man liebliche Gesichter findet.“
(Van Gogh Museum (1996) Führer, S. 23)
„Mich überraschte in diesem Chaos eine Mahlzeit von Armen in einer finsteren Hütte unter einer trüben Lampe. Er nannte es Die Kartoffelesser – es hatte eine erhabene Hässlichkeit und ein beunruhigendes Leben.“
(Emile Bernard, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 10.)
„Ich habe absichtlich einen ziemlich guten Spiegel gekauft“, schrieb er 1888, „damit ich in Ermangelung von Modellen mich selbst malen kann, denn wenn es mir gelingt, meinen eigenen Kopf in der richtigen Farbgebung
zu malen, was gewisse Schwierigkeiten bietet, so kann ich auch die Köpfe anderer braver Männer und Frauen malen.“
(Vincent van Gogh 1888 in Paris. Van Gogh Museum (1996) Führer, S. 30)
„(Ich hatte) kein Geld für Modelle, sonst hätte ich mich ganz der Figurenmalerei gewidmet. Aber ich habe eine Reihe von Farbstudien gemalt, einfach Blumen, roten Klatschmohn, blaue Kornblumen und Vergißmeinnicht,
weiße und rosa Rosen, gelbe Chrysanthemen – ich suchte den Kontrast zwischen Blau und Orange, Rot und Grün, Gelb und Violett zu geben , suchte les tons rompus et neutres in Harmonie mit den schärfsten Gegensätzen zu
bringen. Ich habe den Versuch gemacht, intensive Farben wiederzugeben, nicht eine graue Harmonie.“
Dazu schreibt Theo van Gogh:
„Er malt hauptsächlich Blumen, vor allem, um für seine nächsten Bilder frischere Farben zu kriegen.“
(Van Gogh Museum (1996) Führer, S. 26 und 27)
„Er malte also die Berceuse und hatte die Absicht, sie in Marseilles oder Saintes-Maries einer Kneipe anzubieten, in der Matrosen trinken. Zwei große Sonne sollten ihr zur Seite hängen, denn er sah in
ihrem starken Gelb die höchste Reinheit der Liebe.
(Emile Bernard, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 11.)
„Die Briefe, die er mir aus Arles schrieb, sind oft eine Art christlicher Abhandlungen, in denen der malerische Naturalismus als positivistische Ergänzung der religiösen Idee erscheint. „Christus arbeitete
in lebendigem Fleisch“, schrieb er mir, und das hatte für ihn ein wenig Ähnlichkeit mit seiner Malerei dick aufgetragener und verarbeiteter Pasten, über die er im gleichen Brief anläßlich Rembrandts und Frans
Hals´sprach. Er las die Bibel wieder und fand in ihr Symbole. Besonders solche, die mit dem Geist zu tun haben, sprachen ihn an; unter anderen die Ernte. Er zeichnete sie an die Wände seines Hauses. Auch Gelb, die
Farbe göttlicher Klarheit, beigeisterte ihn. „Ich lasse das kleine Haus, in dem ich wohne, gelb malen“, schrieb er, „denn ich will, daß es für jeden das Haus des Lichts sei.“
(Emile Bernard, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 19 und 20.)
„Die Imagination ist sicher eine Fähigkeit , die wir entwickeln müssen, und nur durch sie können wir dahin kommen, einer erregendere und trostreichere Natur zu schaffen, als die, die wir mit
einem schnellen Blick auf die Wirklichkeit – die uns veränderlich und blitzschnell wechselnd erscheint – wahrnehmen.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im April 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 30.)
„Gegenwärtig bin ich von blühenden Obstbäumen besessen: von rosa Pfirsich- und weißgelben Birnbäumen. Ich folge keinem System beim Auftrag der Farben. Ich schlage sie mit unregelmäßigen Strichen auf
die Leinwand und lasse sie, wie sind.
Pastose Stellen, andere, an denen die Farbe die Leinwand nicht deckt, hier und dort ganz unfertige Ecken, Übermalungen, Rohheiten; das Resultat ist, wie ich glauben darf, beunruhigend und herausfordernd
genug, um Leute nicht glücklich zu machen, die im Voraus festgelegte Ideen über die Technik haben.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im April 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 32.)
„Indem ich immer direkt an Ort und Stelle arbeite, versuche ich, in der Zeichnung festzuhalten, was wesentlich ist – dann die Raumflächen, begrenzt durch Konturen, ob mit Ausdruck oder nicht,, auf jeden
Fall gefühlt; ich fülle sie mit gleichen vereinfachten Tönen so aus, daß alles, was zur Erde gehört, einen violetten Ton, der ganze Himmel einen blauen bekommt und die Grün grünblau oder grüngelb werden, wobei
ich in diesem Fall absichtlich die gelben und blauen Farbwerte übertreibe.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im April 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 33.)
... aber ich habe mich um die Wahrheit der Farbe nur wenig geschert. Lieber naive Kalenderbilder
machen, wie in alten Bauernkalendern, wo Hagel, Schnee, Regen und schönes Wetter ganz primitiv dargestellt sind, wie es Anquetin mit seiner Ernte so gut getroffen hat. Ich verhehle nicht, daß ich das Land nicht verabscheue, denn ich bin auf ihm groß geworden - ...Schwaden Erinnerungen an einst, Trachten nach jenem Unendlichen, für das der Sämann und die Garbe Symbole sind, entzücken mich noch wie früher.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im Juli 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 48.)
„Ich selbst habe ein Stilleben gemacht mit einer blauemaillierten Kaffeekanne, einer königsblauen Tasse und Untertasse, einem blaßkobalt und weiß karierten Milchtopf , einer Tasse mit rotorange und blauem
Muster auf weißem Grund und einem blauen Majolikatopf mit grünen, braunen und rosa Blumen und Blättern. All das auf einem blauen Tischtuch, auf gelbem Grund, mit den Töpfen zwei Orangen und drei Zitronen.
Also eine Variation von blauen Tönen, belebt durch eine Reihe gelber, die bis rotorange gehen.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im Mai 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 39.)
... mir scheint es immer mehr und mehr, die Bilder, die man malen muß, damit die gegenwärtige Malerei ganz sie selbst ist und eine Höhe erreicht wie die erhabenen Gipfel der griechischen Bildhauer, der
deutschen Musiker und der französischen Romanciers, übersteigen die Kraft eines Einzelnen; sie werden wahrscheinlich durch Gruppen
von Menschen geschaffen werden, die sich zusammentun, um eine gemeinsame Idee auszuführen.
Der eine hat prächtig orchestrierte Farben, aber es fehlen ihm Ideen.
Der andere hat eine Überfülle neuer, erschütternder und bezaubernder Einfälle, aber er versteht nicht, sie klangvoll genug auszudrücken, zaghaft wie er ist, mit einer beschränkten Palette.
Grund genug, um den fehlenden Korpsgeist der Künstler zu bedauern, die sich einander kritisieren und verfolgen, ohne sich doch glücklicherweise ganz zu annullieren.“
(Vincent van Gogh in einem Brief aus Arles an Emile Bernard im Juni 1888, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 41 und 42.)
„Ich spreche von diesen beiden Bildern, besonders aber vom ersten, um Dich daran zu erinnern, dass man, um den Eindruck von Angst zu geben, das machen kann, ohne gleich direkt den historischen Garten von Gethsemane
anzupeilen; um ein tröstliches und zartes Motiv zu geben, braucht man nicht gleich die Figuren der Bergpredigt darzustellen.“
(Vincent van Gogh, Anfang Dezember 1889 in der Irrenanstalt von Saint Remy. Er vergleicht hier eine „Ansicht vom Park der Irrenanstalt“ mit einem „Sonnenaufgang über jungem Feld“. Vincent van Gogh, Briefe über die
Kunst, S. 101)
„Vincent und ich stimmen im allgemeinen wenig überein, am wenigsten in der Malerei“ – schrieb Gauguin an Bernard, kaum (in Arles) angekommen -; „er bewundert Daudet, Daubigny, Ziem und den großen Rousseau, alles
Leute, die ich nicht riechen kann; dagegen verabscheut er Ingres, Raffael, Degas, alles Leute, die ich bewundere; ich antworte, um meine Ruhe zu haben: „zu Befehl, Korporal“. Er liebt meine Bilder sehr, aber wenn
ich sie male, meint er immer, das oder jenes sei falsch. Er ist Romantiker, und ich fühle mich mehr vom Primitiven angezogen. Und was die Farbe anlangt, sieht er die Zufälle der Paste wie bei Monticelli, mir aber
ist dieser zufällige Mischmasch ein Greuel“ usw.
(Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 18)
...“Ach, mein lieber Freund, aus der Malerei das zu machen, was schon vor uns die Musik von Berlioz und Wagner bedeutet ... eine Kunst des Trostes für zerrissene Herzen! Es gib erst einige wenige, die, wie Sie und
ich, das fühlen.“
(Vincent van Gogh in einem Brief an Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S 117)
„Er und ich sind immer noch Freunde, ich versichere es Ihnen, aber vielleicht wissen Sie nicht, daß ich krank bin und mehr als einmal schwere Nervenkrisen und Delirien hatte. Das war der Grund, da ich in eine
Irrenanstalt gehen mußte, daß wir, er und ich, uns getrennt haben. Aber vorher haben wir oft zusammen von Ihnen gesprochen.“
(Vincent van Gogh, Ende Januar 1890. Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 135)
„Ich erhielt Ihre Karte im Krankenhaus von Arles, wo ich zur Zeit einquartiert war wegen eines schon fast ganz vorübergegangenen Anfalls von Gehirn- oder einem anderen Fieber.
Die Ursachen und Auswirkungen dieser besagten Krankheit werden wir am besten einer eventuellen Diskussion der holländischen Katecheten überlassen, ob ich nicht ganz verrückt bin oder ob ich nur in einer im
Plastischen bestehenden Einbildung für verrückt gehalten wurde und noch werde.
Und wenn nicht, ob ich vor dieser Zeit verrückt war, wenn ich es nicht schon heute bin, ob ich es später noch werde.
Nachdem ich Ihnen also mehr als vollständige Auskunft über meinen Gemüts- und Körperzustand gegeben habe ... wird es Sie weniger verwundern, dass ich nicht vorher geantwortet habe. Inzwischen dürfen wir aber nicht
vergessen, bei der Sache zu bleiben. Von da ausgehend frage ich Sie, was machen Sie gegenwärtig in der Malkunst und wie arbeiten Sie mit den Farben?
(Vincent van Gogh an den holländischen Maler A. H. Koning im Januar 1889. Vincent van Gogh, Briefe über die Kunst, S. 149)
... und der grobschlächtige Matrose: Paul Gauguin
„Es gibt zwei Naturen in mir, die indianische und die sensitive“.
„Wie man sieht, verlief mein Leben immer schlecht und recht, sehr stürmisch.. In mir gibt es viele Mischungen. Ein grobschlächtiger Matrose. Meinetwegen. Aber es gibt auch Rasse, oder besser gesagt, zwei Rassen.“
(Paul Gauguin, Noa Noa, S. 5 und 6)
„Ich liebe die Bretagne: Dort finde ich das Wilde, das Primitive.“
(Paul Gauguin, 1888 in einem Brief an Émile Schuffenecker. Paul Gauguin, Noa Noa, S. 9)
„Dort unten, unter einem Himmel ohne Winter, auf einem Land von herrlicher Fruchtbarkeit, muß der Tahitianer jedenfalls nur den Arm heben, um seine Nahrung zu ernten; deshalb arbeitet er nie. Während in Europa die
Männer und Frauen nur durch unermüdliche Arbeit zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gelangen, während sie unter den Qualen von Hunger und Kälte leiden, dem Elend hilflos ausgeliefert, kennen dagegen die Tahitianer,
glückliche Bewohner der unbekannten Paradiese Ozeaniens, nur die süßen Seiten des Lebens. Für sie heißt leben Singen und Lieben.“
(Paul Gauguin 1890 in einem Brief an Jens-Ferdinand Willumsen. Paul Gauguin, Noa Noa, S. 9)
„Ich gehe fort, um Ruhe zu finden, um mich vom Einfluß der Zivilisation zu befreien. Ich will nichts als einfache Kunst schaffen; dazu muß ich wieder in die jungfräuliche Natur eintauchen, nur Wilde sehen, ihr Leben
leben, ohne anderes Interesse, als die Ideen in meinem Kopf wie ein Kind wiederzugeben, nur mit Hilfe primitiver Kunstmittel, der einzigen guten, der einzigen wahren.“
(Paul Gauguin 1891 vor seiner Abreise nach Tahiti. Paul Gauguin, Noa Noa, S. 9)
„Ich spüre , wie ich alt werde, und zwar schnell. Da ich Mangel an Nahrung leide, geht mein Magen völlig zugrunde, und ich werde jeden Tag magerer (...). Wenn ich hier täglich mein trockenes Brot mit einem Glas
Wasser zu mir nehme, schaffe ich es durch Willenskraft, mir einzubilden, es sei ein Beefsteak.
(Paul Gauguin 1892 an Mette Gad, seine Frau. Paul Gauguin, Noa Noa, S. 10)
Nahrung findet man ausreichend auf den Bäumen, in den Bergen, im Meer; doch man muß auf einen hohen Baum klettern können, in die Berge steigen und mit schweren Lasten beladen zurückkehren, man muß Fische fangen,
tauchen und dem Grunde des Meeres die fest am Stein haftenden Muscheln entreißen können. Da war ich also, der zivilisierte Mensch, für eine Weile dem Wilden unterlegen, und als ich mit leerem Magen traurig meine
Lage überdachte, machte ein Eingeborener mir Zeichen und rief mir in seiner Sprache zu: „Komm essen.“ Ich verstand. Aber ich schämte mich und lehnte kopfschüttelnd ab.“
(Paul Gauguin, Noa Noa, S. 29)
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